Prof. Dr. Dieter Röß - Workshop für Firmengründer WS 95/96


[ Inhaltsverzeichnis ]  

Zinsen und Betrügerische Spiele

2. Betrügerische Spiele

Ausschnitt aus Strategie und Spieltheorie, 8. Vorlesung
Vorlesung Uni Marburg, WS 93/94, Dieter Röß

2.1 Ein Beispiel; Das Hütchen-Spiel

Als Einstimmung auf die Analyse von wirklichen Spielen betrachten wir das bekannte Hütchenspiel3.

Das Spiel wird während der Vorlesung den Hörern vorgespielt, die es zum Teil bereits aus eigener Beobachtung kennen. Man stimmt überein, daß es ein Geschicklichkeitsspiel ist, mit gleichen Chancen für Erkennen oder Nichterkennen, wobei allerdings vermutet wird, daß der Veranstalter betrügt, indem er z.B. die Kugel zwischendurch versteckt.

Nun folgt die Analyse.

Ist das Spiel ein Geschicklichkeitsspiel, dann hat man folgende Zugmöglichkeiten auf beiden Seiten:

Damit ergibt sich folgende Auszahlungsmatrix:

Opfer
Züge entdeckt entdeckt nicht
Spieler versteckt - 100 * p + 100 * p

* ist das Multiplikationszeichen.

Wir werden uns in Zukunft immer mit dem links stehende Spieler identifizieren, dessen Züge (Strategien) zeilenweise angeordnet sind (hier nur eine). Die Zugmöglichkeiten des oben stehenden Gegenspielers sind spaltenweise angeordnet (hier 2).

In der Matrix stehen die Auszahlungen an den Spieler; sie sind negativ, wenn er verliert.

Es handelt sich hier um ein Nullsummen-Spiel: Die Spielsumme ändert sich durch das Spiel nicht. Was der Sieger gewinnt, verliert der Verlierer. Insofern reicht es aus, wenn in den Positionen der Matrix jeweils nur eine Zahl steht. Für das Opfer bedeutet eine negative Zahl einen Verlust des Spielers, also einen eigenen Gewinn.

Beim Nicht-Nullsummenspiel müßten in jeder Position zwei Zahlen stehen, eine Auszahlung für den Spieler, eine für den Gegner.

In unserem Fall ist p der Überlegenheitsfaktor des Opfers. Für p = 0,5 sind Spieler und Opfer gleich geschickt. Im Einzelspiel ist p die Wahrscheinlichkeit, daß das Opfer gewinnt.

Soweit erscheint es fair, daß bei gleichem Geschick gleiche Chancen vorhanden sind. Dies ist jedoch eine Illusion des Opfers (und meiner Hörer).

In Wirklichkeit handelt es sich um ein Glücksspiel, weil es für einen halbwegs geübten Spieler leicht ist, das Objekt unter dem Hütchen so zu verstecken, daß das Opfer, ob es das nun selbst merkt oder nicht, statistisch rät.

Der Spieler hat tatsächlich 3 Züge (Verstecken unter eines der drei Hütchen), das Opfer ebenfalls (Raten eines der drei Hütchen). Die Auszahlungsmatrix ist jetzt:

Opfer
Strategie 1 2 3
Spieler 1 - 100 100 100
2 100 - 100 100
3 100 100 - 100

Das ist für ein Glücksspiel extrem unfair: Bei statistischer Verteilung wird der Spieler in 2/3 aller Fälle gewinnen.

Dies würde nach kurzer Zeit auffallen. Deshalb ist im Publikum (mindesten) ein Komplize, der als zeitweiliger Gegner mit dem Spieler eine Koalition bildet. Er gewinnt mit einiger Regelmäßigkeit, weil ihn der Spieler seinen Zug erkennen läßt. Damit hätte das Publikum als Spielpartner (unter Einschluß des Mitbetrügers) wieder gleiche Chance wie der Spieler.

In der Spieltheorie behandelt man Koalitionen als eine Partei. Das Opfer spielt also gegen eine Koalition, mit 1/3 Gewinnchancen, während es sich als Teil eines Publikums mit 50% (oder mehr, je nach Einschätzung seiner Geschicklichkeit) Gewinnchancen sieht.

Der geübte Spieler kann seine Chance über 2/3 hinaus weiter erhöhen, wenn er das Opfer täuscht, so daß dieses nicht mehr statistisch rät, sondern seinen getäuschten Augen glaubt.

Soll das Opfer über viele Runden ausgenommen werden, ist es nicht optimal, ihn mit höchstmöglicher Häufigkeit verlieren zu lassen, weil es dann schnell die Lust verliert. Der Spieler wird es gelegentlich eine Glückssträhne "erkennen" lassen, so daß es weitermacht.

Die Strategie des Spielers hängt also von der erwarteten Dauer des Spiels ab. Sie ist anders bei einem Einzelspiel (maximales Absahnen) als bei zahlreichen Folgen (maximaler Gesamtgewinn als Produkt aus Spielzahl und mittlerem Gewinn).

Klar ist auch, daß beim erwarteten letzten Zug maximal abgeschöpft wird, weil jetzt ein Kompromiß keinen zukünftigen Gewinn mehr bedeutet.

Ein Hörer glaubte zu wissen, daß zusätzlich häufig der Spieler manipuliert, indem er das Objekt zwischendurch versteckt und dann in ein nicht erratenes Hütchen praktiziert. Diese riskante Vorgehensweise erhöht die Gewinnchance nahe 100% und macht die Mitarbeit von mehreren Komplizen wahrscheinlich, da der Betrug sonst zu offensichtlich würde.

Dieser zusätzliche, manipulative Betrug ist aber nicht notwendig, um das Opfer statistisch sicher auszunehmen. Bereits das faire Spiel ist betrügerisch.

Es ist typisch für komplexere Spiele, daß ein Spiel sich so in mehreren Ebenen des Verständnisses analysieren läßt:

1. Ebene: Das Spiel ist ein Geschicklichkeitsspiel: Verstecken/Raten, mit fairen Chancen
2. Ebene: Die Verteilung ist statistisch, das Spiel ein Glücksspiel: das Opfer verliert zu 2/3
3. Ebene Niemand ist so dämlich, ein Glücksspiel mit so miserablen Chancen zu spielen
4. Ebene Es gibt Gegenspieler, die systematisch gewinnen, so daß die Chancen des Publikums als Ganzem fair erscheinen
5. Ebene Damit sie dies können, gibt der Spieler ihnen Signale
6. Ebene Die gewinnenden Gegenspieler sind Komplizen in einer "Koalition", die später den Gewinn zusammenlegen
7. Ebene Der Spieler täuscht dem Opfer Erkennbarkeit vor (1. Ebene), dies erhöht seine Chance über 2/3 hinaus, solange das Opfer an ein Geschicklichkeitsspiel glaubt
8. Ebene Minimale Verluststrategie für Dämliche: Glücksspiel: Statistisch wählen
9. Ebene Der Spieler läßt das Opfer gelegentlich gewinnen: induziert so weitere Runden
10. Ebene Minimale Verluststrategie für Dämliche: Geschicklichkeitsspiel
11. Ebene Der Spieler "betrügt" gegenüber dem Verständnis des Opfers über die Spielregeln (Geschicklichkeitsspiel) durch Manipulation des Objekts
etc. etc.  

Es wird verständlich, daß ohne überlegte Analyse der Charakter des Spiels auch von hochintelligenten Menschen (den Hörern) nicht durchschaut wird. Die Polizei behandelt allgemein die Hütchenspiele als Geschicklichkeitsspiele und vertreibt die Spieler zwar periodisch wegen unerlaubter Geschäftstätigkeit (z.B. vom Ku-Damm in Berlin), verhaftet sie aber nicht wegen Betrugs und illegalen, betrügerischen Glücksspiels.

Man kann sich leicht ausrechnen, daß hier um riesige Summen betrogen wird, so daß das Hütchenspiel zu den bevorzugten, mafios organisierten Tätigkeiten zählt.

 


3 20.6.1997: Das Hütchenspiel wird relativ ungeniert in Städten wie Berlin
und Dresden gespielt, da die Behörden sich schwer tun, seinen Charakter
zu begreifen und deshalb prinzipiell einzugreifen. Man meint, der Betrug
komme durch eine Manipulation der Spieler zustande und dies wäre im
Einzelfall nachzuweisen, was schwer ist. Wir zeigen hier, daß es in seinem
spieltheoretischen Charakter grundsätzlich betrügerisch ist, so daß der
Einzelnachweis des Betrugs gar nicht notwendig wäre. [zurück]

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