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Extra-Blatt (März 2006)

Kettenbrief: Vogelgrippe oder Marketing?

Im März 2006 wird eine E-Mail Kettenbrief-artig verbreitet, in der Tatsachenbehauptungen, Halbwahrheiten und Verschwörungstheorien miteinander verwoben sind. Es geht darin um angebliche Hintergründe der so genannten Vogelgrippe (Geflügelpest, aviäre Influenza).

[Originaltext]

An einigen der Behauptungen darin ist zumindest etwas dran, auch wenn sie teilweise fehlerhaft sind:

Die Insel Riems
Auf der Insel Riems befindet sich seit 1910 die erste und somit älteste virologische Forschungsstätte der Welt. Sie ist heute Hauptsitz des Friedrich-Loeffler-Instituts, Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit. Hier werden auch diejenigen Tiere untersucht, die möglicherweise an der so genannten Vogelgrippe gestorben sind. Siehe z.B.:

Verdient Donald Rumsfeld an der Vogelgrippe?
Der US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ist zwar nicht Mehrheitsaktionär von Gilead Sciences. Er war jedoch von 1997 bis 2001 Vorsitzender des Aufsichtsrats und besitzt auch heute noch Anteile an diesem Unternehmen, das ein Patent auf den Wirkstoff in dem durchaus nicht unumstrittenen Grippemittel "Tamiflu" hat. Siehe z.B.:

Sind Schwäne Zugvögel oder nicht?
Das kommt auf die Art und den Standort an. Schwäne sind allgemein durchaus Zugvögel, die Höckerschwäne an der deutschen Ostseeküste sind jedoch Standort-treu, also keine Zugvögel. Siehe z.B.:

Spekulationen, die mit dem H5N1-Virus infizierten toten Schwäne auf Rügen stünden in ursächlichem Zusammenhang zum FLI (s.o.) auf der nahegelegenen Insel Riems, sind recht abwegig, da auch am Bodensee und in mehreren Ländern Europas infizierte tote Vögel aufgefunden wurden und werden.

Die Fachwelt ist derzeit noch uneins, wie die Erreger nach Europa gelangt sind. Einige meinen z.B., dass sie bereits länger da sind, jedoch erst im Winter 2006 entdeckt wurden, weil im Winter stets etliche tote Vögel gefunden werden, die nun auf H5N1-Viren untersucht werden. Die Erreger könnten also schon im Vorjahr durch Zugvögel eingeschleppt worden sein.

Todesfälle durch Grippeviren
Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts in Wiesbaden sterben jährlich allenfalls mehrere 100 Menschen (und nicht mehrere 1000) in Deutschland ursächlich an Influenza (Virus-Grippe):

Jahr 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005
Todesfälle (J10 + J11) 239 364 267 72 102 300 125 301
Quelle: Statistisches Bundesamt

Unter Bezug auf das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin werden allerdings oft deutlich höhere Zahlen (mehrere 1000 oder gar über 10.000) genannt. Mögliche Ursache dieser Diskrepanz kann eine unterschiedliche Auswertung und Zusammenfassung der erhobenen Zahlen sein. So werden in der amtlichen Statistik keineswegs alle, die an einer Lungenentzündung sterben, als Influenza-Opfer (nach ICD-10, J10/J11 - s.u.) erfasst. Es zählt vielmehr das Grundleiden, das z.B. auch eine Herzerkrankung oder AIDS (HIV) sein kann.

Die Website Gesundheitsberichterstattung des Bundes, für die Statistisches Bundesamt und RKI gemeinsam verantwortlich sind, weist detaillierte Daten zu den Todesursachen in der Bevölkerung aus. Daraus lässt sich entnehmen, dass die Zahl der jährlichen Todesfälle auf Grund nachgewiesener Influenza-Viren (J10) von 1998 bis 2005 gerade einmal niedrige zweistellige Werte erreicht. An Lungenentzündung (Pneumonie), einschließlich der Grippefälle, sind hingegen jährlich zwischen 17.500 und 22.000 Menschen in Deutschland gestorben.

Quelle: Gesundheitsberichterstattung des Bundes 

 

Vor allem die Behauptung in dem Kettenbrief, es gäbe Pläne zur Zwangsimpfung der gesamten Bevölkerung, etwa anlässlich der Fußball-WM, ist recht fragwürdig. Es gibt noch gar keinen geeigneten Impfstoff und eine flächendeckende Impfung wäre selbst dann, wenn alle freiwillig hingingen, logistisch nicht in ein paar Monaten zu bewältigen - von den enormen Kosten ganz zu schweigen.
Es wurden sogar E-Petitionen an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags gestartet, damit das Parlament einen (überflüssigen) Beschluss gegen Zwangsimpfungen fassen möge.

Hier soll offenbar mit Verschwörungstheorien Verunsicherung erzeugt und vermutlich auch Geld verdient werden, wie ja zurzeit viele versuchen aus den überzogenen, irrationalen Ängsten vor der so genannten Vogelgrippe Kapital zu schlagen. Ein mögliches Ziel des unbekannten Verfassers könnte sein den Verkauf der Bücher eines unbedeutenden Verlags anzukurbeln, indem die bestehenden Verunsicherungen über die so genannte Vogelgrippe ausgenutzt werden. Dieser Verlag hat gerade ein Buch über die Vogelgrippe angekündigt, in dem der Inhaltsangabe nach ähnliche und noch weiter gehende Verschwörungstheorien im Mittelpunkt stehen.

Zweifellos gibt es in vielen Bereichen Verbindungen zwischen Wirtschaft und Politik, deren Auswirkungen nicht notwendigerweise im Interesse der Verbraucher bzw. Bürger sind. Daraus jedoch eine allumfassende Weltverschwörung zu konstruieren trägt auch nicht gerade zur wünschenswerten Transparenz bei.

So gilt auch weiterhin der Grundsatz:
Kettenbriefe sind kein adäquates Medium zur Kommunikation seriöser Anliegen.

 


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